Nachdenkliches zu den Olympischen Spielen in Paris von 2024

von Dr. rer. publ. Werner Wüthrich

Nach offizieller Zeitrechnung fanden die Olympischen Spiele zum ersten Mal im Jahr 776 vor Christus im griechischen Olympia im Nordwesten des Peloponnes statt – vor 3000 Jahren. Aus dem einfachen ländlichen Fest im griechischen Olympia, das die Einwohner zu Ehren von Zeus feierten, wurde ein Wettbewerb in Gesang, Tanz, Poesie und in vielen sportlichen Disziplinen. Der Zeitabschnitt zwischen zwei Festen (vier Jahre) hiess eine Olympiade. Zu diesen Spielen kamen die besten Künstler und Sportler der ganzen griechischen Halbinsel und der Inseln zusammen. Die Olympischen Spiele haben eine lange Geschichte – auch nach dem Untergang des antiken Griechenlands. Die Grundidee hat sich erhalten. Das olympische Feuer ist seit der Antike ein Symbol für Frieden und Freundschaft unter den Völkern geblieben.
  Das olympische Feuer wird durch die Strahlen der Sonne in einem parabolischen Spiegel entzündet und brennt während der Spiele an einem heiligen Ort in Olympia namens Prytaneum. Heute wird das  Feuer in einem Fackellauf vom Ursprungsort nach Paris getragen. Es ist ein symbolträchtiges Ereignis. Die Fackelträger verkünden auf ihrem Weg die Ekecheiria, den heiligen Waffenstillstand, und die Botschaft des Friedens.
  Am 16. April 2024 wird das olympische Feuer in Olympia entzündet – wie vor 3000 Jahren. Fackelträgerinnen und Fackelträger bringen das Feuer in elf Etappen nach Piräus, in die Hafenstadt von Athen. Hier übernimmt der historische Dreimaster, die Bélem, das Feuer und bringt es nach Marseille. Dieses Schiff war bereits 1896 im Einsatz, als Paris zum ersten Mal die Olympischen Spiele der Neuzeit durchführte. Nach etwa zehn Tagen auf See wird die Bélem in Marseille ankommen. Ihre Ankunft wird die Festlichkeiten und die Spiele in Frankreich eröffnen. Der Fackellauf mit dem Feuer geht jedoch weiter – quer durch ganz Frankreich. Das Land wird sich über viele Tage von seiner schönsten Seite zeigen. Am 16. Juli wird Präsident Macron die Spiele in Paris offiziell eröffnen. Sie dauern bis zum 11.  August. Es soll ein grossartiges Fest werden.

Schattenseiten

«Offene Spiele» ist das offizielle Leitmotiv des Olympischen Komitees. Die Organisatoren werden  einen Marathon und auch andere Disziplinen für die normale Bevölkerung anbieten. Länder wie Russland und Belarus sind jedoch ausgeschlossen. Das widerspricht dem Geist der Olympischen Spiele, der die Freundschaft unter den Völkern fördern will. Auch im antiken Griechenland waren Kriege nicht so selten – zwischen Sparta und Athen und auch zwischen den andern griechischen Stadtstaaten. Die olympischen Spiele waren immer wieder eine Brücke und eine Chance, feindselige Differenzen zu überwinden und den Zusammenhalt zu stärken. So waren die oft zerstrittenen Griechen in entscheidenden Momenten geeint und errangen in Marathon 490 vor Christus Schulter an Schulter einen grossen Sieg über die Perser. Der Meldeläufer brachte die Siegesnachricht in so kurzer Zeit nach Athen, dass er am Ziel nach 41 Kilometern tot zusammenbrach. Heute gehört der Marathon zum Programm – so auch wieder in Paris.
  Gibt es eine bessere Voraussetzung für einen «offenen Geist», der die alten Griechen auszeichnete? Man trifft sich trotz kriegerischer Auseinandersetzungen alle vier Jahre, pflegt Kontakte, feiert Feste, übt sich in Gesang, Tanz und Poesie und misst sich sportlich in zahlreichen Disziplinen. – Vielleicht hat das antike Griechenland auch deshalb einen so einzigartigen Platz in der Menschheitsgeschichte, dass manches aus seinem Leben heute wieder als Vorbild dient.
  Die Athleten aus Russland und Belarus dürfen nur als «individuelle, neutrale Personen» an den Wettkämpfen teilnehmen, und von der Eröffnungsfeier sind sie ausgeschlossen. Auch das verstösst gegen den olympischen Geist. Und was ist mit der Bevölkerung im Gaza-Streifen, die in ihren Ruinen ausharrt und nicht weiss, ob und wie sie die nächsten Tage überleben wird?
  Präsident Emanuel Macron hat sich in den letzten Tagen und Wochen nicht gerade friedliebend gezeigt. Truppen will er schicken in die Ukraine und mehr Waffen liefern. Er fällt mit einer ausgeprägt kriegerischen Rhetorik auf, während die Franzosen in ganz Frankreich ein «grossartiges» Fest vorbereiten.
  Die Fackelträgerinnen und Fackelträger von Olympia verkünden auf ihrem Weg den «heiligen Waffenstillstand» und die Botschaft des Friedens – wie schon seit dreitausend Jahren. Das gilt es ernst zu nehmen!  •

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