Für Wahrheit in den internationalen Beziehungen

von Hans-Christof von Sponeck, Deutschland*

Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, die mit dem Thema unserer Zusammenkunft zu tun hat, d.h. mit Menschsein und Menschlichkeit und unserer Zukunft in einer multipolaren Weltordnung.
  Bevor ich dies tue, muss ich allerdings zunächst etwas sagen über das Unmenschsein und die Unmenschlichkeit in der gegenwärtigen Weltunordnung, die leider auch zu diesem Thema gehören:
  Es geht um Massenvernichtungswaffen in Syrien und die Verpflichtung multilateraler Organisationen, sich für das Wohlergehen der Menschheit einzusetzen und sie gegen Krieg, Armut und Ausbeutung zu schützen.
  Am 7. April 2018 wurde Duma, ein Vorort von Damaskus, bombardiert, 43 Menschen verloren ihr Leben. Wenige Tage später griffen die Luftwaffen der USA, Grossbritanniens und Frankreichs syrische Ziele an, als Vergeltung für den vermeintlichen Giftgaseinsatz durch die syrische Regierung. Menschenfremde Grossmachtpolitik hat hier zu einer ernsten Krise mit weltweiten Konsequenzen geführt. Wissenschaftliche Untersuchungen der OVCW (Organisation für das Verbot chemischer Waffen) sind durch Manipulation politisiert worden, um damit einen Luftangriff zu rechtfertigen.
  Nach zweijähriger Arbeit ist nun im Juli 2023 ein Forschungsbericht veröffentlicht worden, den Sie einsehen können, der darlegt, was geschehen ist und was geschehen muss, um eine verantwortliche Überprüfung des Duma-Vorfalls zu ermöglichen und um das Vertrauen in die unparteiliche Arbeit internationaler Organisationen wie der OVCW und der Uno wiederherzustellen. Ohne Frage ein ehrgeiziges Unterfangen.
  Nun zu meiner Geschichte:
  Da sind vier Personen, die sich auf wundersame Weise zusammengefunden haben, zwei Professoren, einer aus den USA und ein anderer aus Grossbritannien, ein Brasilianer und ehemaliger General-Direktor der OVCW, und ein Deutscher, ein ehemaliger Mitarbeiter der Uno. Wir vier haben eines gemein: Wir wollen uns vorbehaltlos für die Wahrheit in den internationalen Beziehungen einsetzen, die wir im Fall Duma für ernsthaft gefährdet erachten. Wichtiger noch, es geht uns um den Schutz von Menschen, die Opfer eines Stellvertreterkrieges sind, eines Krieges, den sie nicht wollen.
  Die Aussagen von zwei OVCW-Wissenschaftlern in führenden OVCW-Positionen in den Duma-Untersuchungen, die aus Protest über Unwahrheit zu Whistleblowern geworden waren, überzeugten uns, dass das OVCW-Management in Den Haag, unter Druck von mächtigen Mitgliedsstaaten, wiederholt mit der Wahrheit über Duma gespielt hat und dies weiterhin tut.
  Nach einem vertraulichen Gespräch in Brüssel mit einem der Whistleblower im Jahr 2019 entschieden wir uns daher, eine kleine Bürgergruppe zu bilden, die dieses schwerwiegende Thema Duma weiter untersuchen würde. Wir gaben uns den Namen «BerlinGroup 21», weil wir uns 2021 zunächst in Berlin getroffen hatten.

Geopolitik auf Kosten der Menschen

Je mehr wir uns mit dem Thema Chemie-Waffen und Duma befassten, je deutlicher wurde, welch’ schlimmes geopolitisches Spiel in Den Haag auf Kosten der Menschen gespielt wurde und weiterhin gespielt wird. Aus diesem Grund nahmen wir Kontakt auf mit ehemaligen OVCW-Mitarbeitern und anderen Experten, um uns umfassender zu informieren. Zu diesen gehörten Chemiker, Toxikologen, Ballistiker sowie Personen mit militärischen, nachrichtdienstlichen, politischen und Syrien-bezogenen Erfahrungen. Hierdurch entstand im Frühjahr 2021 ein «Statement der Besorgnis», für welches wir 24 international bekannte Personen einluden, dieses Statement zu unterzeichnen, unter ihnen vier OVCW-Mitarbeiter.
  Die Präsidenten der Uno-Generalversammlung, des Sicherheitsrats und der Menschenrechtskommission sowie der Uno-Generalsekretär sind die ersten gewesen, die persönlich angeschrieben wurden, mit der Bitte, die in dem Statement ausgedrückte Besorgnis mit den Unterzeichnern zu teilen. Die Uno-Antwort war Schweigen. Die Verantwortlichen der Weltorganisation, die uns, die Bürger, vertreten sollen, hatten kein Verständnis für unsere Sorge und auch nicht den Mut, dem Frieden dienend einzuschreiten.
  Wichtig war uns auch, dem Generaldirektor der OVCW das Statement der Besorgnis zu übermitteln, und dies mit einem persönlichen Anschreiben, das die Bitte enthielt, alle OVCW-Mitarbeiter, die mit Duma zu tun gehabt hatten, einzuladen, um eine Überprüfung der veröffentlichten Berichte vorzunehmen. Seine Antwort war es, uns den Umschlag mit dem Schreiben ungeöffnet zurückzuschicken. So viel Kaltblütigkeit hatten wir wahrlich nicht erwartet.
  Nein, entmutigt waren wir nicht, nur enttäuscht. Durch die abweisende Haltung der zwei Weltorganisationen wurde uns aber deutlich, dass ein Ausdruck der Besorgnis nur der Anfang einer Bürgerinitiative sein konnte. Der nächste Schritt sollte deshalb sein, einen detaillierten Bericht über OVCW-Manipulation, Falsch-Analysen und Zensur anzufertigen. Hierzu brauchten wir entsprechende Experten und politische Unterstützung.
  Zugang zu Experten hatten wir bereits. Kontakte mit Abgeordneten des Europa-Parlaments wurden aufgebaut und führten dazu, dass zwei irische EU-Abgeordnete uns ihre Unterstützung zusagten und uns beauftragten, diesen Bericht zu erstellen. Dies war ein wichtiger Schritt, der auch die Mittel mit sich brachte, die Finanzierung und Verteilung des Berichtes sicherzustellen. Alle bisherigen Ausgaben für die Verwaltung unserer Webseite, Übersetzungen und Materialausgaben hatten wir bis dahin persönlich getragen. Bis zur Veröffentlichung des Berichts im Juli, nach zwei Jahren schwieriger Arbeit in einem komplexen Umfeld, musste die Zusammenarbeit mit den beiden EU-Abgeordneten aus offensichtlichen Gründen zunächst ein Geheimnis bleiben.
  In dieser Zeit war es nicht einfach, allen Beteiligten verständlich zu machen, dass der Fall Duma zwar einen sehr ernsten Einzelfall darstellte, aber dass es erheblich wichtiger war, diesen Einzelfall als symptomatisch für einen globalen Konflikt der Grossmächte einzuordnen und entsprechend zu handeln. Während wir an dem Bericht arbeiteten, ergaben sich immer wieder Gelegenheiten, die Ursachen für den Fall Duma in öffentlichen Diskussionen darzustellen, und, bewusst begrenzt, auch entsprechende Artikel zu schreiben. Die grossen Medien in Amerika und Europa hatten keinerlei Interesse, sich in unserem Sinn zu äussern. Im Gegenteil, es wurde gehetzt, oder besser gesagt, wir wurden verhetzt und angeklagt, den Diktator Syriens zu verteidigen und uns russischer Propaganda zu unterwerfen.

Angriffe ad personam statt Sachdiskussion

Jeder von uns wurde persönlich angegriffen und verunglimpft. Einer wurde blockiert, im Uno-Sicherheitsrat zu sprechen, einem anderen wurde von zwei Botschaftern der P5-Gruppe bescheinigt, dass er es nicht wert war, von ihnen angehört zu werden, indem sie an der Anhörung erst gar nicht teilnahmen. An anderer Stelle meinte eine Botschafterin mit Hinweis auf unsere Gruppe: «Ja, und da sind Leute, die mit Schlamm schmeissen in der Hoffnung, dass er kleben bleibt.» Eine bekannte und geschätzte europäische akademische Einrichtung zog eine Einladung zu einem Kongress über die Chemie-Waffen-Konvention zurück, in der Zeit, als unser Bericht veröffentlicht wurde, mit dem Argument, «es muss eine Balance geben zwischen der politischen und akademischen Dimension» – eine für mich angsterregende Aussage. Einem anderen von uns wurde bescheinigt, dass er durch seine Teilnahme in unserer Gruppe sein Lebenswerk zerstört hätte.
  Eine bekannte zentral-europäische Fernsehanstalt des öffentlichen Rechts brachte im letzten Jahr eine längere Dokumentation zum Thema Chemiewaffen und Duma, die zu dem Schluss kam, dass Chemiewaffen dort eingesetzt worden waren – eine Feststellung, die in keiner Weise dem entsprach, was wir aus den uns zur Verfügung stehenden Dokumenten entnommen hatten. Wir kontaktierten den Referatsleiter mit der Bitte, uns doch dieselbe Zeit zur Verfügung zu stellen, in der wir dann unsere Erkenntnisse vortragen könnten. In seiner Antwort bedeutete dieser, dass wir zunächst beweisen müssten, dass wir dem Berichtungsstandard seiner Einrichtung Genüge tun könnten. 
  Der Referatsleiter hat nun vor wenigen Tagen unseren Bericht bekommen. Wir sind gespannt, ob wir den Standard-Test des Fernsehens bestehen werden und ein Gespräch zustande kommt. Falschaussagen hat es übrigens auch in der BBC und in englischen Druckmedien gegeben, die – und das ist ein kleiner Lichtblick – dann zurückgenommen werden mussten.
  Unser Bericht ist inzwischen an alle 193 Uno- und OVCW-Mitgliedsstaaten, sowohl digital wie auch im Druckformat, geschickt worden. Ebenso haben der General-Direktor der OVCW und sein technischer Beirat den Bericht erhalten, mit der erneuten Aufforderung an die Organisation, ihren Verpflichtungen nachzukommen und eine neue Duma-Untersuchung einzuberufen. Die Umschläge sind jedenfalls bisher nicht zurückgeschickt worden.
  Die neu-alte brasilianische Regierung von Präsident Lula da Silva hat auf den Bericht schnell reagiert, indem sie Brasiliens Botschaften in New York und Den Haag angewiesen hat, darauf zu bestehen, dass der Bericht im Uno-Sicherheitsrat und in der OVCW diskutiert wird. Wir erwarten, dass andere Regierungen und der Generalsekretär der Vereinten Nationen ähnliches tun werden. Natürlich hoffen wir sehr, dass zivilgesellschaftliche Einrichtungen ihre Stimmen erheben und die Regierungen daran erinnern, dass Organisationen wie die Uno und die OVCW letztlich den Bürgern verpflichtet sind, die Wahrheit zu schützen und das internationale Recht zu wahren. •



Hans-Christof von Sponeck, geboren 1939 in Bremen, studierte Demografie und Physische Anthropologie an den Universitäten Bonn, Tübingen und Washington und erhielt 2010 einen Ehrendoktortitel der Universität Marburg. Von 1968 bis 2000 war er für die Vereinten Nationen tätig. In dieser Zeit arbeitete er u.a. in New York, Ghana, Pakistan, Botswana, Indien und war Direktor des Europa Büros von UNDP in Genf. Von 1998 bis 2000 war er als UN-Koordinator und beigeordneter UN-Generalsekretär verantwortlich für das Programm »Öl für Lebensmittel« im Irak. Im Februar 2000 trat er aus Protest gegen die Sanktionspolitik gegen Irak zurück. Diverse Auszeichnungen und Veröffentlichungen. Zurzeit arbeitet er gemeinsam mit Richard Falk an einem Buch zur Uno-Reform.

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